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Begriff Definition
Betriebsvereinbarung

Der Begriff "Betriebsvereinbarung" ist gesetzlich nicht definiert. Sie ist eine formbe­dürf­tige Vereinbarung (schriftlicher Vertrag), die zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber über Angelegenheiten abgeschlossen werden kann, für die der Betriebsrat zuständig ist (BAG 13.02.2007 – 1 AZR 184/06, BAGE 121, 168) . Sie hat teil­weise rechtsetzende Wirkung, z. B. bei Abschluss-, Inhalts- und Beendigungsnor­men von Arbeits­verhältnissen oder in betrieblichen und be­triebsver­fassungs­rechtlichen Fragen. Ge­genüber Geset­zen und Tarif­verträgen ist sie eine nachrangige Rechtsquelle. Gegenüber einer Individualvereinba­rung (z. B. Arbeitsvertrag) ist sie we­gen ihrer Nor­mwirkung vorrangig.

Die Betriebsvereinbarung ist ein wichtiges Rechtsinstrument der Betriebsverfassung. Ihre rechtli­che Ausgestaltung ist in den Absätzen 2 bis 6 des § 77 BetrVG festgelegt. Nach Absatz 4 haben ihre Regelungen Normcharakter, das heißt, sie gelten unmittel­bar und zwin­gend. Ist es zwischen den  Betriebsparteien[1] in mitbestimmungspflichtigen Angelegenheiten zu keiner Einigung ge­kommen, kann sie durch den Spruch der Einigungsstelle ersetzt werden. Der Spruch der Eini­gungs­stelle ist einer Betriebs­vereinbarung gleichgestellt (§ 77 Abs. 2 BetrVG).

Der Begriff "Vereinbarung" ist ein Oberbe­griff, er umfasst alle im Gesetz aufgeführten Ab­spra­chen, alle sonstigen formlosen betrieblichen Einheitsregelungen, Rege­lungsabreden und die formbedürf­ti­ge Betriebsvereinbarung. Es gibt:

  • erzwingbare Betriebsvereinbarungen
  • teilmitbestimmte Betriebsvereinbarungen
  • freiwillige Betriebsvereinbarungen

Mit einer Betriebsvereinbarung kann der Arbeitgeber unter Beteiligung des Be­triebsrats eine kollektive  Versorgungszusage erteilen.[2] Die vom Arbeitgeber ganz oder teilweise finanzierte be­triebli­che Altersvorsorge ist grundsätzlich eine freiwillige Sozialleistung des Betriebes. Der Ab­schluss einer Be­triebsver­einba­rung über eine vom Arbeitgeber finanzierte Versorgungszusage ist nicht erzwingbar. Sie ge­hört in den Bereich der freiwilli­gen Mitbestimmung (§ 88 BetrVG). Oft wer­den in ihr neben mitbe­stim­mungsfreien auch mit­be­stimmungspflichtige Sachverhalte (Leis­tungsplan) ge­regelt; dann handelt es sich um eine teilmitbestimmte Betriebs­vereinbarun­g.

Soll eine Versorgungszusage für die Betriebe eines Unternehmens oder für die Unterneh­men eines Konzerns abgeschlossen werden, ist für ihren Abschluss der Gesamtbetriebsrat (§ 50 Abs. 1 BetrVG) oder Konzernbetriebsrat (§ 58 BetrVG) zustän­dig.

Eine Betriebsvereinbarung mit einer Versorgungszusage hat der Arbeitgeber an geeigneter Stelle auszulegen, er hat sie bekannt zu machen.

Ist nichts anderes vereinbart, kann eine Be­triebsvereinbarung über eine betriebliche Altersversor­gung mit einer Frist von drei Mona­ten gekün­digt werden.[3]

Kündigt der Arbeitgeber eine erzwingbare Betriebsvereinbarung, so wirken ihre Nor­men nach, bis sie durch eine andere Abmachung abgelöst wird. Wird eine teilmitbestimmte Be­triebsvereinbarung gekündigt, so wirkt sie nach Ablauf der Kündigungsfrist nur mit dem Teilen nach, die mitbestim­mungspflichtig sind (Nachwirkung bei Betriebsvereinbarungen)[4]  Die mitbe­stimmungsfreien Sach­verhalte wirken grundsätzlich nicht nach.

Bei der Kündigung einer Betriebsvereinbarung ist aller­dings zu unterscheiden, ob sie wirksam ist und welche Rechtsfolgen sie hat. Erworbene Versor­gungsan­wartschaften fallen auch nach einer Kündigung nicht ersatzlos weg; denn die Arbeit­neh­mer ha­ben durch jahrelange Arbeit vorge­leistet. Durch Arbeitsleistung und Be­triebstreue[5] erdiente Anwart­schaf­ten und Besitzstände können nicht ohne ei­nen billigenswer­ten Grund ge­mindert oder gar wegfal­len.[6]  Sie sind nach dem Grund­satz der Ver­hält­nis­mä­ßigkeit und des Vertrau­ensschut­zes geschützt. Je stärker in Besitzstände eingegriffen werden soll, desto gewichti­ger müs­sen die Gründe für einen Eingriff sein (Drei-Stu­fen-Modell).[7]

Abändernde Betriebsvereinbarung: Mit einer abändernden Betriebsvereinbarung kann der Inhalt einer bestehenden Betriebsvereinbarung abgeändert werden. Bei dieser Abänderung gilt nicht das Günstigkeitsprinzip, sondern die Zeitkollisionsregel.[8] Wirkt sich die Änderung nega­tiv auf be­stehende Versorgungs­anwartschaften aus, ist der Grund­satz der Ver­hältnis­mäßigkeit und des Ver­trauens­schutzes im Rahmen des Drei-Stufen-Mo­dells zu beach­ten. In die Rechte der Betriebsrentner und die mit einer unverfallbaren Anwartschaft vorzeitig ausge­schiedenen Arbeitneh­mer kann grund­sätzlich nicht eingegriffen werden (Besitzstandsschutz),[9] es sei denn, eine Jeweiligkeitsklausel lässt dies zu.

Ablösende Betriebsvereinbarung: Führt die Änderung einer individual-rechtlichen Versor­gungs­zusage durch eine ablösende Betriebsvereinbarung bei einzelnen Arbeitnehmern zu Nachteilen, so ist sie nur zulässig,[10] wenn die Neuregelung insgesamt für die Ar­beitnehmer günstiger ist (kol­lekti­ver Günstigkeitsvergleich).

Erzwingbare Betriebsvereinbarung: Eine Betriebsvereinbarung ist er­zwingbar, wenn die zu re­gelnde Angele­genheiten uneingeschränkt dem Mitbe­stimmungs­recht unterliegen. In welchen Fäl­len der Betriebsrat eine Betriebsverein­ba­rung er­zwingen kann,[11] er­gibt sich aus den jeweili­gen ge­setzlichen Vorschriften − insbesondere aus dem Be­triebsverfas­sungs­gesetz. Mitbestim­mungs­pflichtig ist eine Angelegenheit dann, wenn bei einer Nichteini­gung zwischen Betriebs­rat und Arbeit­geber der Spruch der Einigungsstelle sie verbind­lich erset­zen kann (§ 87 BetrVG).[12]

Erzwingbare Betriebsvereinbarungen wir­ken nach Ablauf der Kündigungsfrist grundsätzlich nach ( Nachwirkung).[13] Ihre Normen wirken so lange fort, bis die Betriebsvereinbarung durch eine andere Ab­machung ersetzt wird. Das kann eine Auf­he­bungs- oder Änderungs­betriebsvereinba­rung, ein Tarif­vertrag oder eine einzelvertragliche Regelung sein. Auf die Nachwir­kung kann in der Betriebs­ver­einbarung verzichtet wer­den).[14] Neben den erzwingbaren Betriebsvereinbarungen gibt es auch freiwil­lige und teilmitbe­stimmte Vereinbarungen.

Freiwillige Betriebsvereinbarung: Eine freiwillige Betriebsvereinbarung wird vom Betriebsrat mit dem Arbeitgeber über be­triebliche Angelegenheiten abgeschlossen, die in § 88 BetrVG beispielhaft aufgeführt sind.[15] Der Katalog ist nicht abschließend. Über eine betriebliche Altersvorsorge – ob arbeitge­ber-, misch- oder arbeitnehmerfinanziert – kann eine freiwillige Betriebs­ver­einba­run­g abge­schlossen werden. Entschließt sich der Arbeitgeber, den Arbeitnehmern Versorgungs­zusagen zu erteilen, so kann er frei darüber entscheiden, für welche Versor­gungsfälle (Alter, Invalidität, Tod) er Leistungen zusagt und wie hoch er die entsprechende Leistung dotiert. Die Normen einer freiwilli­gen Betriebs­vereinbarung wirken nicht nach,[16] es sei denn, die Nachwirkung wurde vereinbart.[17]

Mitbestimmungspflichtige Betriebsvereinbarung: Eine Betriebsvereinbarung ist mitbestimmungs­pflichtig, wenn mit ihr Angelegenheiten geregelt werden, bei der die Einigungs­stelle verbindlich entscheiden kann, wenn sich Betriebsrat und Arbeitgeber nicht einigen konnten.[18] Bei mitbestimmungspflichtigen Angelegenheiten kann der Betriebs­rat aktiv werden (Initiativrecht), um zum Abschluss einer erzwingbaren Betriebsver­einbarung zu kommen. § 77 BetrVG ist Rechts­grundlage für eine erzwingbare Be­triebsverein­ba­rung. Die Normen einer erzwingbaren Betriebs­vereinbarung wirken nach Ablauf der Kündigungsfrist nach, bis sie durch eine andere Abmachung ersetzt werden.[19] Ausnahme: Die Nachwirkung wurde vertraglich ausgeschlossen.[20]

Eine mitbestimmungspflichtige Betriebsvereinbarung kann auch auf einem Spruch der Einigungs­stelle beruhen. Der Arbeit­geber hat den Spruch der Eini­gungsstelle wie eine ð Betriebsvereinba­rung umzusetzen. Es kann auch vereinbart wer­den, dass statt der Einigungsstelle eine tarifliche Schlichtungsstelle angerufen werden kann, um eine Regelung zu erreichen.

Teilmitbestimmte Betriebsvereinbarung: Mit einer teilmitbestimmten Betriebsvereinbarung wer­den mitbestimmungsfreie und mitbe­stimmungspflichtige Angelegenheiten gemeinsam geregelt. Eine arbeitgeber- oder mischfinanzierte betriebliche Versorgungszusage wird typischerweise mit einer teilmitbe­stimmten Betriebsvereinbarung gestaltet oder verändert.[21] Der Arbeitgeber ist zur Erteilung einer von ihm finanzierten Versorgungszusage der betrieblichen Altersvorsorge nicht verpflichtet. Die Grund­ent­schei­dung, ob eine be­triebliche Altersvorsorge einge­führt werden soll, ist mitbe­stimmungs­frei. Da­gegen ist die Gestal­tung des Leis­tungsplanes mitbestim­mungspflichtig. Die Änderung einer Versorgungszu­sage ist mitbestim­mungsfrei, wenn sich dadurch der Leistungs­plan nicht verändert. Bei einer teilmitbestimmten Betriebsvereinbarung wirken in der Regel nur die mitbestimmungspflichtigen Sachverhalte nach,[22] wenn sich die Betriebsvereinba­rung sinnvoll in einen nachwirkenden und einen nicht nachwirkenden Teil aufspalten lässt. Ist das nicht der Fall, entfaltet die gesamte Betriebsvereinbarung zur Sicherung der Mitbestimmung Nach­wirkung.

Umstrukturierende Betriebsvereinbarung: Individual-rechtliche Versorgungszusagen mit kol­lektivem Bezug können von einer umstrukturierenden Betriebsvereinbarung abgelöst werden, wenn der Dotierungsrahmen mindestens gewahrt bleibt.[23] Ob die Verschlechterungen bei einem einzelnen Arbeitnehmer durch Verbesserungen bei anderen Arbeitnehmern per saldo ausgegli­chen werden, ist durch einen kollektiven Günstigkeitsvergleich zu ermitteln.[24] Ob diese Betriebsver­einbarung zu­lässig war, ist durch eine abstrakte Rechtskontrolle zu überprüfen. Mit einer individu­ellen Rechts­kontrolle kann nachgeprüft werden,[25] ob die Umstrukturierung für den einzelnen Arbeit­nehmer nicht zu weit ging.

 



[1] BAG 05.03.2013 – 1 AZR 417/12, Rn. 23 ff., lexetius.com 2013, 2566

[2] BAG 17.01.2012 – 3 AZR 555/09, Rn. 29, lexetuis.com 2012, 1905

[3] BAG 26.10.1993 – 1 AZR 46/93; 17.01.1995 – 1 ABR 29/94, AP Nr. 6, 7 zu § 77 BetrVG 1972, Nachwirkung; 17.08.1999 – 3 ABR 55/98, BAGE 92, 201

[4] BAG 09.07.2013 – 1 AZR 275/12, Rn. 18, lexetius.com 2013, 3975

[5] BAG 18.05.2010 – 3 AZR 97/08, Rn. 35 f., BAGE 134, 254

[6] BAG 15.08.2010 – 3 AZR 80/08, Rn. 37 f., lexeius.com 2010, 2576

[7] BAG 10.03.2015 – 3 AZR 56/14, Rn. 37 ff., lexetius.com 2015, 1169

[8] BAG 15.01.2013 – 3 AZR 169/10, Rn. 50, lexetius.com 2013, 1196

[9] BAG 16.03.1956 – GS 1/55, AP Nr. 1 zu § 57 BetrVG

[10] BAG 16.09.1986 – GS 1/82, AP Nr. 17 zu § 77 BetrVG 1972

[11] BAG 05.03.2013 – 1 AZR 417/12. Rn. 23, lexetius.com 2013, 2566

[12] BAG 09.07.2013 – 1 AZR 275/12, Rn. 18, lexetius.com 2013, 3975

[13] BAG 19.06.2012 – 1 ABR 19/11, Rn. 18 f., BAGE 142, 87

[14] BAG 09.05.2003 – 1 AZR 340/02, Rn. 12, lexetius.com 2003, 1691

[15] BAG 12.12.2006 – 1 AZR 96/06, Rn. 13 ff., BAGE 120, 308

[16] BAG 09.07.2013 – 3 AZR 275/12, Rn. 18, lexetius.com 2013, 3975

[17] BAG 28.04.1998 – 1 ABR 43/97, NZA 1998, 1348

[18] BAG 23.09.1997 – 3 ABR 85/96, AP Nr. 26 zu § 1 BetrAVG Ablösung; 12.06.1975 – 3 ABR 137/72, 3 ABR 13/74, 3 ABR 66/74, AP Nr. 1 – 3 zu § 87 BetrVG Altersversorgung

[19] BAG 09.07.2013 – 1 AZR 275/12, Rn. 18, lexetius.com 2013, 3975

[20] BAG 06.05.2003 – 1 AZR 340/02, Rn. 12, lexetius.com 2003, 1691

[21] BAG 05.10.2010 – 1 ABR 20/09, Rn. 19 ff., BAGE 135, 382

[22] BAG 09.07.2013 – 1 AZR 275/12, Rn. 18, lexetius.com 2013, 3975

[23] BAG 20.11.1990 – 3 AZR 573/89, AP Nr. 14 zu § 1 BetrAVG Ablösung

[24] BAG 16.09.1986 – GS 1/82, AP Nr. 17 zu § 77 BetrVG 1972

[25] BAG 15.05.2012 – 3 AZR 11/10, Rn. 75 ff., BAGE 141, 259; 12.11.2002 – 1 AZR 58/02, Rn. 19 ff., BAGE 103, 321

 

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